Von Brennnessel-Salaten und Kräuter-Tees

Am Samstag, 9. Juli 2022 fand die vierte Exkursion für die Winti Scouts statt. Sie wurde zu einem Ausflug der ganz besonderen Art: Anstelle von geobotanischem, pflanzenphysiologischem oder blütenbiologischem Fachwissen vermittelten die beiden Exkursionsleiterinnen Heidi Ruckli und Béatrice Lütolf den Zugang zur Stadtflora über deren Heilwirkung, über Rezepte und über ein Gedicht.

Im Zentrum ihrer Betrachtungen standen Tees, Tinkturen und die Analogie von menschlichen Körperachsen zu pflanzlichen Sprossachsen. Zum Abschluss der Exkursion gab es zur Kostprobe frisches Brot mit selbstgemachter Kräuter-Butter mit Pflanzen, welche die Winti Scouts unterwegs angetroffen – und umgehend mit der App Flora Incognita bestimmt und getaggt – hatten.

Die Exkursion zum Thema Ruderalpflanzen startete mit 25 Winti Scouts mitten in der Stadt Winterthur, beim Teuchelweiherplatz an der Zeughausstrasse. Rund um diesen ehemaligen Parkplatz finden sich zahlreiche Ruderalstandorte mit einer erstaunlich grossen Artenvielfalt. Auch wenn die Pflanzengemeinschaft nach Bauarbeiten an einigen Stellen angesät wurde, so haben sich hier über die Jahre doch zahlreiche Ruderal- und Trockenpflanzen behaupten und einige Arten – wie etwa die im Kanton Zürich seltene und landesweit gefährdete Rispen-Flockenblume (Centaurea stoebe) – neu ansiedeln können. So begegneten die Winti Scouts neben Ruderalpflanzen wie der Rosen-Malve (Malva alcea), dem Weissen Honigklee (Melilotus albus) oder der Färber-Hundskamille (Anthemis tinctoria) auch einigen Trockenpflanzen wie dem Echten Johanniskraut (Hypericum perforatum), dem Gemeinen Natternkopf (Echium vulgare) oder der Flockigen Königskerze (Verbascum pulverulentum).

Heidi Ruckli beim fachgerechten Ernten von Brennnesseln
Heidi Ruckli erklärt, wofür man das Echte Labkraut (Galium verum) früher verwendete
Heid Ruckli erklärt den Einsatz des «Pizzakrauts» (Oregano, Echter Dost, Origanum vulgare)
Béatrice Lütolf liest das Gedicht «Tausendguldenkraut» von Karl Heinrich Waggerl
Béatrice Lütolf bei der Pflanzenbestimmung

Doch zurück zum Schwerpunkt der Exkursion: Sie begann mit Kleeblüten und einer Rezeptur für einen schmackhaften Kräuter-Tee aus verschiedenen Blüten, Blättern oder Stängeln. Dieser soll so viele Vitamine und Spurenelemente enthalten, dass das menschliche Immunsystem gewissermassen gegen Krankheitserreger aller Art topfit werden soll. Die Winti Scouts erfuhren von «Immunpflanzen» und «Schleimpflanzen» wie dem Echten Eibisch (Althaea officinalis), dessen Substanzen nicht nur gegen Reizhusten wirken sollen, sondern auch wohltuend für die Gesunderhaltung des Magen-Darm-Traktes sei. Davon konnten sich die Winti Scouts mit einer kleinen, von Co-Leiterin Heidi Ruckli sorgfältig vorbereiteten Kostprobe selber überzeugen. Unter den Ruderalpflanzen gebe es übrigens zahlreiche «Schleimpflanzen». Was viele Winti Scouts nicht wussten: Auch getrocknete Blätter der bereits genannten Königskerze helfen bei Beschwerden (fast) aller Art. Und schliesslich erfuhren die Winti Scouts auch, wie und wofür das Echte Seifenkraut (Saponaria officinalis), eine in Garten und auf Balkonen häufige Unkraut- oder Ruderalpflanze, in Küche und Waschküche verwendet werden kann.

Erkundung der Flora in einer Waldlichtung
Aufstieg Richtung Eschenberg
Zum Abschluss der Exkursion gab's selbstgemachte Kräuter-Butter
Heidi Ruckli (r.) erläutert die Rezeptur der Kräuter-Butter

Die Exkursion führte anschliessend entlang des Mattenbachs an ausgedehnten Brennnessel-Beständen vorbei, was natürlich unverzüglich zur Heilwirkung von Brennnessel-Tees und -Salaten oder anderen Zubereitungsarten führte. Doch wie kommt man an die Heilstoffe in Blättern, Stängeln und Wurzeln von Brennnesseln heran, ohne sich dabei gründlich zu «verbrennen». Das fachgerechte Ernten von Brennnesseln konnten die Winti Scouts gleich an Ort und Stelle erlernen und ausprobieren.

Nach ein paar hundert Metern bogen die Exkursionsteilnehmer ab Richtung Eschenberg. Dort sahen sie an einer feuchten Stelle in einer Waldlichtung unter anderem das Echte Tausendgüldenkraut (Centaurium pulchellum), was Co-Leiterin Béatrice Lütolf veranlasste, das Gedicht «Tausendguldenkraut» aus Karl Heinrich Waggerls «Heiteres Herbarium» vorzutragen:

Überdrüssig meiner Schulden
will ich ein paar Tausend-Gulden-
Kräuter in den Garten pflanzen.
Jahr um Jahr will ich den ganzen
Guldenschatz zusammenlegen,
Kunst und Wissenschaft pflegen,
und zum Kummer meiner Erben
einst als Kräuterkrösus sterben.

Die beiden Exkursionsleiterinnen Béatrice Lütolf und Heidi Ruckli haben für die Winti Scouts ein sehr ungewöhnliches und abwechslungsreiches Programm zusammengestellt. Anstatt über ökologische Zusammenhänge oder über Erkenntnisse aus der Pflanzensoziologie zu referieren, gaben sie praxisnahe Einblicke in die Verwendung einheimischer Pflanzen direkt vor unserer Haustür. Das Wissen und die Erfahrungen aus früherer Zeiten ergänzt mit neuen Erkenntnissen waren für viele Winti Scouts eine – wenn auch etwas unkonventionelle – Erweiterung des eigenen Horizonts. Viele der teilnehmenden Winti Scouts liessen sich darauf ein und zeigten einmal mehr, was echte Winti Scouts eben ausmacht: die sichtliche Freude an der Pflanzenwelt und eine grosse Portion Neugier.

Die nächste Exkursion findet am Freitagabend, 26. August 2022, von 17.30 bis 19 Uhr statt. Thema diesmal: Feuchtgebiete im Siedlungsraum, Königskerzen, Enziane. Alle registrierten Winti Scouts erhalten rechtzeitig per E-Mail eine Einladung.

Schlagwörter
EschenbergEssbare KräuterHeilpflanzenSprossachsen

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